Filmkritik: „The Painted Bird“ (2019)

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THE PAINTED BIRD

Story

 
 
 
Ein zu Beginn des zweiten Weltkriegs von seinen Eltern weggeschickter, kleiner Junge rennt nach dem Tod seiner Tante obdachlos durch eine zerrüttete und grausame Welt.

 
 
 


 
 
 

THE PAINTED BIRD – Kritik

 
 
Schwer atmend, mit Todesangst in den Augen. läuft ein kleiner Junge in bildhübschen, schwarz-weißen Einstellungen eine Landstraße hinunter, wird von mehreren älteren Jungs gejagt. Sein Frettchen trägt er in den Armen, ängstlich schaut er sich um bevor er zu Fall gebracht wird. Mehrfach wird ihm brutal ins Gesicht geschlagen, dann muss er zusehen wie sein armes Tier kreischend verbrannt wird, im Kreis rennt, sich am Boden windend, bis es irgendwann nur noch zuckt. Herzlich willkommen bei „The Painted Bird“.
 
 

„Das ist deine Schuld. Du darfst nicht alleine rausgehen.“

 
 
Abseits des Skandals um die vorgetäuschte Echtheit der Geschichte war „The Painted Bird“ des polnisch-amerikanischen Autoren Jerzy Kosiński 1965 in erster Linie für seine Sprachgewalt und ungeschönte Ehrlichkeit in aller Munde. Als einer der bedeutendsten Romane über den zweiten Weltkrieg ließ eine Verfilmung allerdings dekadenlang auf sich warten, zu abschreckend muss der Originaltext auf interessierte Regisseure gewirkt haben. Der tschechische Regisseur Václav Marhoul ist nun die erste Person geworden, die sich in ihrem vierten Spielfilm an dem auswegslosen Leiden der Vorlage versucht hat.
 
 
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In zehn Kapitel – stets nach den Charakteren, denen unser namenloser (oder…?) Protagonist auf seiner Reise durch das zerrüttete Osteuropa begegnet, benannt – und abzüglich des Abspanns 155 Minuten lang sollte ich nun also dem gebeutelten Schicksal eines unschuldigen Jungens folgen, angeblich in unerbittlichen und gnadenlosen Bildern festgehalten. Ich gebe ganz ehrlich zu – ich hatte einen gehörigen Respekt vor dem Film. Und gerade nach der sadistischen Anfangsszene habe ich schon gut schlucken müssen – doch was folgen sollte war weder so genial, noch so verstörend, wie erwartet.
 
 
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Hätte Marhoul, der den Roman für den Film selbst in ein Filmscript adaptiert hat, sich hier nämlich 1:1 an eine Umsetzung des Originaltextes gewagt, vermutlich hätte ich wirklich gewimmert oder geweint, die ausführliche Inhaltszusammenfassung auf der englischsprachigen Wikipediaseite gewährt da einige Einblicke. Doch nach der Filmsichtung wirkt es tatsächlich so, als hätte Marhoul hier zu Gunst der Vermarktbarkeit einige Zensuren vorgenommen, die die Drastik, Konsequenz und das Grauen der Vorlage in einigen Segmenten entscheidend umdeuten oder abschwächen. Zusammen mit der makellosen, schwarz-weißen Cinematographie, den weitläufigen Sets und authentisch wirkenden Kostümen also ein absoluter Sehgenuss für Bildästheten, ohne dass die optische Gewalt des Films keine Story oder Nähe mehr zulassen würde – doch hier ist die Krux des Ganzen.
 
 
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In der Originalversion der Geschichte, so wirkt es auf mich zumindest, ist unser junger Protagonist in einer derartig höllischen Situation voll düsterster Abgründe gefangen, dass jede noch so kleine Geste an Barmherzigkeit, Mitleid oder Empathie direkt einen enormen emotionalen Effekt haben muss, wie eine kleine Insel der wahrhaftigen Liebe und Güte wirkt. Dieser Effekt verpufft in dem Film, da die Situation natürlich unerträglich und grauenhaft ist, hier aber direkt mehrere Charaktere nicht daran interessiert scheinen, dem Kind „einfach nur“ zu schaden – wer einen Misery Porn befürchtet, indem szenenlang gefoltert, vergewaltigt oder gedemütigt wird, der kann beruhigt aufatmen. Und auch die Kamera ist eher an hübschen Kompositionen und weiten Einstellungen interessiert, als je explizit bei den Gewalttaten dabei.
 
 
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Ohne einzig aufgrund einer maximal hoffnungslosen, durchgängig nach unten schlagenden Situation mit unserem exzellent spielenden Protagonisten mitfiebern zu können bzw. müssen, habe ich demnach auf einen stimmungsvollen, wenngleich auch ggf. emotional manipulierenden, Soundtrack gehofft, oder aber auf Monologe. Doch falls „The Painted Bird“ einen Soundtrack hat, so ist dieser derart spärlich oder zurückhaltend eingesetzt worden, dass ich ihn nicht mehr erinnere – und Monologe, innere Reflektionen über seine Umstände und Motivation, oder auch nur längere Dialoge mit dem Jungen gibt es nicht, wodurch wir also weder über seine Vorgeschichte, noch seine Mentalität mehr erfahren können, als sein Mimenspiel ausdrückt.
 
 
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All dieser Punkte zum Trotz könnten allein die Inszenierung und der Mut das Projekt überhaupt anzugehen, zusammen mit der Starpower und den exzellenten Performances völlig ausreichen, um ein echtes Meisterwerk zu schaffen – doch so grandios gerade Udo Kier mit seinen manischen Augen auch in diese Welt passt, als eifersüchtiger Müller laut brüllend seine Frau peitschend, so redundant und irgendwie belanglos formt sich doch nach einiger Zeit die eigentliche Seherfahrung.
 
 
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Im ersten Kapitel wächst der Junge ärmlich in der Obhut seiner gefühlskalten Tante auf und schreibt verzweifelt Botschaften wie „Holt mich hier raus“,bis diese eines Tages stirbt, er aus Versehen das Haus in Feuer setzt, auf seiner Flucht von einem wütenden Mob ausgepeitscht und von einer Wanderheilerin/Schamanin gekauft wird. Diese rasiert und vergräbt ihn, dann folgt blutige Obhut bei Udo Kier, bis er auf einen alten Mann stößt, der mit Singvögeln handelt und diese sammelt. Eine nach einer Vergewaltigung traumatisierte Frau lebt vom Dorf verstoßen im Wald und verführt Ehemänner, ein Pulk wütender Frauen verstümmelt sie, woraufhin der alte Mann sich erhängt und eine neue Unterkunft gefunden werden muss.
 
 
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Dies war ein kurzer Einblick in die ersten vier der neun Kapitel des Films und genau in dieser von Gewalt, Armut, Rache, Verzweiflung, Traumata, Depressionen, Missgunst, und Neid regierten Welt muss ein verstörtes Kind sich nun alleine navigieren, stets auf der Flucht vor allen die ihm Böses wollen, stets auf der Suche nach etwas Wärme, die nicht von einer brennenden, von Kosacken geplünderten Stadt her rührt. Doch Station für Station endet mit Enttäuschung oder entsetzter Flucht, wodurch der episodenhafte, überraschend kurzweilige Fluß der Geschichte aufrecht erhalten wird.
 
 

„Wir haben für sie einen Juden gefangen im Wald.“

 
 
Lese ich im Nachhinein noch einmal durch meine x Seiten Notizen zu dem Film, so kommen doch einige wunderbar subtil bedrohliche, nonverbal erzählte Szenenkonstrukte in den Sinn, Stellen an denen Harvey Keitel, Stellan Skarsgård oder Julian Sands richtig brillieren können, in denen ich mitgehofft habe, dem Jungen alles Gute der Welt gewünscht habe. Auch gibt es im späteren Verlauf noch eine aufwendig und schonungslos inszenierte Angriffsszene, für die sich der Film fast schon alleine lohnt – doch dann ertönt inmitten dieses todernsten Massakers, in dem schreiende, weinende Mütter mit ihren Kindern blutigst erschossen oder verbrannt oder vergewaltigt werden, auf einmal der legendäre „Wilhelm Scream“ und ich habe die Welt überhaupt nicht mehr verstanden.
 
 
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Trotz des interessanten Interviews mit dem Regisseur im Booklet der – wie immer – höchst empfehlenswerten Bildstörung-VÖ bin ich mir schlußendlich nicht sicher, wieso der Roman jetzt abgeändert, so ein völlig unpassender Sound benutzt, dieser teure Starcast nötig gewesen war. Mit mehr Originaltreue wäre hier vielleicht ein potentieller neuer Favorit für mich dringewesen, in der aktuellen Fassung allerdings war ich zu distanziert, zu kalt gelassen von dem Geschehen, um mich abseits von den Bildern und Performances wirklich für die Geschichte zu begeistern oder länger investiert zu sein.
 
 


 
 
 

THE PAINTED BIRD – Fazit

 
 
 
6 Punkte Final
 
 
 
Großartig gedrehtes, aufwendig inszeniertes, immer wieder wunderbar zurückhaltend gespieltes, karges Kriegsdrama mit einem beeindruckenden Hauptdarsteller, aber auch sehr eintöniger und unnützerweise goutierbar zensierter Story.
 
 
 


 
 
 

THE PAINTED BIRD – Zensur

 
 
 
„The Painted Bird“ hat von der FSK in der ungeschnittenen Fassung eine Freigabe ab 18 Jahren erthalten. Diese Freigabe ist gerechtfertigt.
 
 
 


 
 
 

THE PAINTED BIRD – Deutsche Blu-ray

 
 
 
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(c) Bildstörung (KeepCase im Schuber)

 
 
 

TECHNISCHE DATEN


Originaltitel: The Painted Bird; Slowakei | Tschechien | Ukraine 2019

Genre: Drama, Krieg

Ton: Deutsch DTS-HD MA 5.1, Interslawisch DTS-HD MA 5.1

Untertitel: Deutsch

Bild: 2.35:1 (1080p) | @24 Hz

Laufzeit: ca. 169 Min.

FSK: Keine Jugendfreigabe (ungeschnittene Fassung)

Verpackung: KeepCase mit Wendecover im Schuber

Extras: Booklet, Trailer, Making-of-Doku, Tschechien (120 Min.), goEast Masterclass, Deutschland 2020 (90 Min.)

Release-Termin: 06.05.2022

 

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THE PAINTED BIRD – Trailer

 
 


 
 
 

Alexander Brunkhorst

(Rechte für Grafiken liegen bei Bildstörung)

 
 
 
Ähnche Filme:
 
Habermann (2009)
 
Der Hauptmann (2017)
 
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