Filmkritik: „Was geschah mit Bus 670?“ (2020)

was-geschah-im-bus-670-poster
 
 
 

WAS GESCHAH IM BUS 670?

(IDENTIFYING FEATURES | SIN SEÑAS PARTICULARES)

Story

 
 
 
Nachdem ihr Sohn vor Jahren auf seinem Weg nach Amerika verschwunden ist, beschließt eine trauernde Mutter sich selbst auf die Suche zu machen.
 
 
 


 
 
 

WAS GESCHAH IM BUS 670 – Kritik

 
 
Das Langfilmdebüt der mexikanischen Regisseurin Fernanda Valadez nutzt einen Begriff aus der Forensik als Originaltitel, um den ansonsten ggf. nichtsahnenden Zuschauer bereits zu warnen. Dieser Film ist nicht an Action, Rache oder kurzweiliger Befriedigung des Zuschauers interessiert, weniger noch als „Catch the Fair One“ – Fuß- und Fingerabdrücke oder Zähne zur Identifikation einer Leiche, dann noch im Kontext mit einer Busreise und Mexiko als Handlungsort – die grausame Realität unfassbar brutaler Gangkriminalität, die auch schon publikumswirksam in z.B. „Sicario“ inszeniert wurde, wird hier wohl im Fokus stehen. Doch ähnlich wie das exzellente chilenische Rachedrama „To Kill a Man“ ist auch der vorliegende Film von leiser und zurückhaltender Natur, deutlich interessierter an den Menschen und Stimmungen, Lichtern und Bildern und realistisch auswegslosen Situationen, an der Sozialdynamik des Landes und den Konsequenzen der Umstände, denn an der Struktur der Gangs oder einer Stilisierung der eigentlichen Gewalt.
 
 
was-geschah-im-bus-670-bild-1
 
 
Es beginnt mit langen Einstellungen nebliger Felder mit fahlem Lichteinfall, mit atmosphärischen und zurückhaltenden Opening Signals. Magdalena wird von ihrem Sohn informiert, dass dieser sich mit seinem Freund Rigo in einem Bus über die Grenze bewegen will, Rigos Onkel hätte in Arizona wohl Jobs für die beiden. Zu diesem Zeitpunkt präsentiert sich der Film noch besonders still, komplett ohne Soundtrack und mit spärlichem Sounddesign ausgestattet, wirken einige Szenen, mit einem Voiceover der trauernden Magdalena untermalt, nahezu dokumentarisch. Die Polizei kann nichts unternehmen, nach der nüchternen und soundtracklosen Titlecard geht es mit ungeschönten Nahaufnahmen einer Augen-OP weiter. Jahre nach dem Vorfall wird die Mutter von Diego, eines anderen Jungen aus dem Bus, kontaktiert, sie solle doch bitte eine gefundene Leiche identifizieren – und auch Magdalena lässt sich zum gefährlichen, von Bandenkriminalität dominierten Grenzbereich fahren, um dort nach ihrem Sohn zu suchen. Eine Blutprobe wird abgegeben, Kleidungsreste müssen durchgeguckt werden, in der steten Angst die selbst gepackte Tasche entdecken zu müssen, da die Leichenreste bis zur Unkenntlichkeit verbrannt wurden.
 
 

„Ich werde nicht zurückkommen, bis ich ihn gefunden habe.“

 
 
Sobald die beiden trauernden Mütter des Films aufeinandergestoßen sind und sich nach einem recht langen, nüchternen und sich auf realistische Weise Zeit nehmendem ersten Akt also die bisherigen Protagonistinnen verbündet haben, geht es zu einem anschwellenden, dröhnendem Soundtrack zur Grenze, wo ein junger Mann namens Miguel soeben zurück nach Mexiko abgeschoben wurde. Die eindringliche Orchesterkomposition untermalt die langen Tracking Shots des verlorenen Mannes, wie malerische, unscharfe Einstellungen nächtlicher Lichtquellen im Hintergrund zu erzählen wissen. Nach rund einer halben Stunde präsentiert „Identifying Features“ dann erstmalig Genreelemente eines düsteren Thrillers, da Magdalena bei ihren Versuchen, mit einem Busfahrer zu sprechen, nicht nur zurückgewiesen wird und auf taube Ohren stößt, sondern sogar eine eindringliche Warnung erhält, bloß zurück zu fahren und nicht weiter in dieser menschenfeindlichen, von Gangs kontrollierten Umgebung herumzustochern oder nach unbequemen Wahrheiten zu suchen. Von Gang-Mitgliedern, Bandenkriminalität oder Details des üblichen Tathergangs wird übrigens nie weiter gesprochen, denn auch ohne eine Thematisierung im Dialog ist das Machtverhältnis zu jedem Zeitpunkt eindeutig, die Angst vor Gewalt omnipräsent und die Mimik und Gestik der Überlebenden angespannt, ängstlich und kleinlaut.
 
 
was-geschah-im-bus-670-bild-3
 
 
Ein wiederholtes Stilmittel in den Dialogszenen ist es dabei, dass die Kamera einzig Magdalenas Reaktionen und Mimik zeigt, nicht aber ihr Gegenüber – dies ist eine persönliche Geschichte über Schmerz, Trauer und Verlust und keine, die an kernigen Nebencharakteren oder klassischen Shot/Gegenshot-Inszenierungen interessiert ist. Die nächsten Stationen der mutigen Mutter sind ein Migrantenheim zum Unterkommen und ein weiteres Treffen mit Jemandem, der wohl Informationen über die vermissten Busse und Passagiere hat. Doch nicht, bevor wir zurück in Miguels Perspektive schneiden – dieser reist per Anhalter mit anderen deportierten Mexikanern auf der Ladefläche eines Pick-Up-Trucks, wird statt von der Polizei allerdings von einer bewaffneten Straßengang-Patrouille angehalten und in einer höchst anspannenden Szene missgünstig beäugt. Nahezu nebensächlich erzählte Details, wie dass die Gang die letzten x Bürgermeister der lokalen Großstadt umgebracht haben, intensivieren solche Einstellungen ganz ohne einen manipulativen Soundtrack oder effekthascherisches Editing noch auf sinnvolle Weise.
 
 
was-geschah-im-bus-670-bild-4
 
 
Nach etwa der Hälfte des Films ist es dann eine alte Kirche, in der unsere beiden hoffnungslosen Protagonisten/innen stranden und sich gegenseitig finden. Miguel war fünf Jahre in Amerika, hatte keine Möglichkeit sich zu melden und sucht nun das Haus seiner Mutter – Magdalena hingegen vermisst seit Jahren ihren Sohn. Gemeinsam streifen die beiden trauernden Opfer ihrer gewalttätigen Umstände durch die Wüste, auf der Suche nach Wahrheit, Empathie, Puzzlestücken – doch wer jetzt den Wandel zum herzerwärmenden „Feel-Good-Film“ nach Hollywood-Formular erwartet, der hat wohl kurz den Realitätsanspruch dieser Geschichte vergessen. Auf ihrem Weg ins Herz der Dunkelheit scheint „La Fragua“ die letzte Station zu sein – Magdalena müsste um einen ganzen Damm herum laufen um dorthin zu gelangen, doch ein Fischer nimmt sie in seinem Boot mit. Die Schlüsselszene des Films, die das (in Deutschland) titelgebende „Mysterium“ aufklärt, ist dann besonders filmisch stilisiert und ununtertitelt, gleichzeitig aber auch absolut alptraumhaft, rau und intensiv. Einen wirklichen Angriff auf die Sinne oder auch Angst vor explizit gezeigten Gewalttaten muss man hier nicht haben, von einer filmischen Wucht und mitreißend schonungslosen Inszenierung kann jedoch trotzdem die Rede sein.
 
 
was-geschah-im-bus-670-bild-2
 
 
Gerade im Zusammenspiel mit und Kontrast zu den hübschen Aufnahmen von Wasserspiegelungen im fahlen Sonnenlicht und zurückhaltend benutzten Songs eine Szene, die sich absetzt und einbrennt – doch das ist noch nichts im Vergleich zum direkt hiernach einsetztendem Finale, aufgrund dessen Schonungslosigkeit und Emotionalität einem in mehrerlei Hinsicht defintiv die Spucke wegbleiben kann. Am Ende des Tages ist „Sin Señas Particulares“ ein wichtiger und effektiver Film, der mit seinem langsamen Tempo und seiner ruhigen Grundstimmung zwar in erster Linie an Realismus interessiert scheint, nichtsdestotrotz durch den Cast, die exzellente Kameraarbeit und Lichtstimmung sowie durch den Soundtrack zu betören und eindrucken weiß, bevor einem der Boden gekonnt unter den Füßen weggezogen wird.
 
 


 
 
 

WAS GESCHAH IM BUS 670 – Fazit

 
 
 
7 Punkte Final
 
 
 
Stilles, subtiles, technisch hochwertiges Drama über Verlust und das Finden eines Abschlusses im Angesicht unmenschlicher Brutalität.
 
 
 


 
 
 

WAS GESCHAH IM BUS 670 – Zensur

 
 
 
Die deutsche Fassung von „Was geschah mit Bus 670?“ ist ungeschnitten und frei ab 16 Jahren.
 
 
 


 
 
 

WAS GESCHAH IM BUS 670 – Deutsche DVD

 
 
 
was-geschah-im-bus-670-dvd

(c) MFA+ Cinema (DVD im KeepCase)

 
 
 

TECHNISCHE DATEN


Originaltitel: Sin Señas Particulares; Mexiko | Spanien 2020

Genre: Drama

Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Spanisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bild: 2,39:1 (anamorph / 16:9)

Laufzeit: ca. 95 Min.

FSK: FSK16 (ungeschnittene Fassung)

Verpackung: KeepCase

Extras: Trailer, Trailershow

Release-Termin: KeepCase: 10.06.2022

 

Was geschah mit Bus 670? [DVD im KeepCase] ungeschnitten auf AMAZON bestellen

 
 


 
 
 

WAS GESCHAH IM BUS 670 – Trailer

 
 


 
 
 

Alexander Brunkhorst

(Rechte für Grafiken liegen bei MFA+ Cinema)

 
 
 
Ähnche Filme:
 
To Kill a Man – Kein Weg zurück (2016)
 

Deine Meinung zum Film

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..