Filmkritik: „Piercing“ (2018)

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PIERCING

Story

 
 
 
Ein junger Familienvater plant akribisch den perfekten Mord an einer Prostituierten, hat sich aber kein widerstandsloses Opfer ausgesucht.
 
 
 


 
 
 

PIERCING – Kritik

 
 
 
Egal in welcher Reihenfolge man sich den Filmen von Nicholas Pesce annimmt, man dürfte so oder so überrascht werden: Sein wohl bekanntestes Werk ist wohl das unnötige, mittlerweile dritte US-“Ju-On“-Remake von 2020, einem gnadenlos gebombten Projekt ohne jede Existenzberechtigung, das so gar keine Hoffnung auf frühere Perlen macht. Doch eine solche gibt es, denn 2016 gab Pesce mit dem betörend-verstörendem Arthouse-Horrordrama „The Eyes of My Mother“ sein Debüt, einem bemerkenswerten und formvollendeten Film, der allenfalls an seinem Ende schwächelt. Und genau zwischen diesen beiden Filmen, die inszenatorisch sowie qualitativ beeindruckend weit auseinander liegen, der vorliegende Titel: „Piercing“.
 
 

„You know what you have to do, right?“

 
 
Kurzkritiken des Films reden gerne von einem „Neo-Giallo“, dass der Regisseur hübsche Bilder komponieren kann, ist bekannt. Wenn dann noch im Menü der deutschen Blu-ray das Original-Theme von Argento’s Tenebrae läuft, Goblins Score zu Einstellungen roter Wände und langer Hotelflure durchs Wohnzimmer grooven darf, dürften die Opening Signals den Zuschauer noch vor Beginn des Films erreicht haben. Die eigentlichen 75 Minuten beginnen nun mit einem Baby, das in einem (selbstverständlich) rot-grün beleuchteten Raum vor Vater Reed liegt, welcher nur beunruhigender Weise ein Messer in seiner Hand hält. Eine Szene später wird es einmalig recht ungeahnt trashig-witzig, wenn besagter Nachwuchs für einen Moment lang dämonisch schwarze Augen bekommt und direkt zu Reed spricht – eine Stelle, die in der Romanvorlage von Ryu Murakami (u. a. Audition) vermutlich deutlich besser funktioniert, hier aber auch nicht weiter schlimm ist, zumal der Inhalt rüberkommt: Reed ist getrieben.
 
 
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Reed, unser Protagonist, wird dabei von Christopher Abbott gespielt, der in den letzten Jahren durch Highlights wie „First Man“, „A Most Violent Year“, „Black Bear“ oder „Possessor“ verdientermaßen endlich durchstartet. Und getrieben, so informiert uns der Film noch vor den Opening Credits samt stimmiger 70’s Lounge-Score, ist er von der Idee jemanden umzubringen. Eine Prostituierte, die niemand vermisst, ohne dass es auffliegt, ohne dass es sonderlich sadistisch oder brutal stattfinden muss, einfach um es getan zu haben. Mit Übersicht, mit geplanten Zeitabläufen, mit einer höchstmöglichen Professionalität. Und so checkt Reed also in das Hotel seines Vertrauens ein, geht pedantisch den ganzen Plan durch, inszeniert sorgfältig mehrere Durchläufe, erinnert den Zuschauer an einen etwas hübscheren „Scherzo Diabolico“.
 
 

„You could still kill her.“

 
 
Doch da wäre ja noch die zweite Komponente, das Opfer-to-be. Eine junge Frau, optisch ähnlich der Sängerin Alli Neumann, verkörpert von der mittlerweile durch zahlreiche publikumswirksame Hollywood-Produktionen („Crimson Peak“, „Alice in Wonderland“, „Stoker“, „The Devil All the Time“) international bekannten Mia Wasikowska, wacht übernächtigt und genervt auf, während ihr wütender Boss sie voll motzt. Das Profondo Rosso Theme läuft, im Splitscreen folgen wir unseren beiden Charakteren, bis sie überraschend früh bereits aufeinander treffen. Und jetzt? Ist sie furcht- und er sprachlos.
 
 
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Wer ein sonderlich raffiniertes, unvorhersehbares, einzigartiges oder durch seine Twists überzeugendes Katz-und-Maus-Spiel erhofft, der wird von nun an ebenso enttäuscht sein wie diejenigen, die wirklich auf einen Neo-Giallo hoffen. Trotz der nicht angelehnten, sondern schlichtweg übernommenen Argento-Scores und anderer Stilzitate wird es weder eine Mordreihe, noch absurde Nebencharaktere oder aufwendige Set-Pieces in diesem schwarzhumorigen Thriller geben, auch ist die Situation „tatsächlich“ so überschaubar, wie man zu Beginn meint. Die eigentliche Frage ist viel eher: Wer hat hier die Hosen an?
 
 

„I think she knows.“

 
 
Nicht unähnlich des Reb Braddock Films „Curdled“ (1996), nur meiner Meinung nach kurzweiliger, besser, spannender und überzeugender, ist die Frage nach der Dynamik zwischen unseren Protagonisten, das Umdrehen des Spießes und das Antizipieren der gegenseitigen Rollenerwartungen hier nämlich der eigentliche Fokus, während jegliche Giallo-Anleihen kaum mehr als oberflächliche Stilimitation bieten. Durch die Powerhouse-Performance von Wasikowska und den glaubhaft verlegenen Abbott trägt sich ein derart simples Konzept natürlich trotzdem noch, gerade im ersten Akt ist von Langeweile keine Spur zu finden und die Charaktere sowie das Konzept sind noch rätselhaft und unverbraucht genug, über die volle Lauflänge kann das nur leider nicht behauptet werden.
 
 
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In einem schwarzhumorigen Telefonat zwischen Reed und seinem eingeweihten Partner werden mögliche Theorien für den weiteren Verlauf der Nacht durchgegangen und hier kann das Writing wirklich glänzen, auch kann das spätere Setting, eine 70’s-Designerwohnung mit roten Wänden und Seidenlaken ebenso überzeugen wie die blauen Lichtreflexionen auf der Taxifahrt dorthin. Überraschend ruppig-explizite Visionen haben mich überrascht, einige Dialoge können in ihrer Gestörtheit zum Schmunzeln animieren und ein einzelnes Stück Story gibt es noch, dessen Inszenierung als unerwartet und absolut gelungen zu loben ist. Doch so positiv und sehenswert sich das alles liest, so wenig Spielzeit machen diese Sequenzen im Endeffekt aus, während ein Großteil des Films äußerst geerdet, simpel und vorhersehbar verläuft. Nun liegt die Ähnlichkeit zu „Audition“ natürlich auf der Hand, und genau diese wird dem Film auch noch zum Verhängnis: Hat man Miikes Murakami-Adaption nämlich noch nicht gesehen, so sollte man dies meiner Meinung nach unbedingt vor dem Genuss von „Piercing“ tun, da die entsprechenden Szenen deutlich unangenehmer und gekonnter sind. Und hat man Audition bereits gesehen, so wird man diesen Film zwangsläufig als kurzweiligere, kürzere und natürlich schnellere, aber eben auch weniger effektive Variation einer sehr ähnlichen Geschichte sehen. Dank der kurzen Laufzeit, gut aufgelegten Performances und rundum gelungenen Inszenierung kann man „Piercing“ als Fan schwarzhumoriger, leicht grotesker Thriller also sicherlich mal einlegen, er tut nicht weh – doch sobald nach dem ersten Akt das Tempo gedrosselt wurde, hat mein Interesse auf Dauer doch rapide abgenommen.
 
 
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PIERCING – Fazit

 
 
 
7 Punkte Final
 
 
 
Schicker, kleiner, manchmal recht fieser Thriller mit guten Performances und ein paar bösen Spitzen, der sich trotz seiner Kürze zunehmend zieht.
 
 
 


 
 
 

PIERCING – Zensur

 
 
 
Die deutsche Fassung von „Piercing“ ist ungeschnitten und frei ab 18 Jahren.
 
 
 


 
 
 

PIERCING – Deutsche Blu-ray

 
 
 
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(c) BUSCH MEDIA GROUP (Blu-ray im KeepCase)

 
 
 

TECHNISCHE DATEN


Originaltitel: Piercing; USA 2018

Genre: Horror, Thriller

Ton: Deutsch DTS-HD MA 5.1, Englisch DTS-HD MA 5.1

Untertitel: Deutsch

Bild: 1.85:1 | @23,976 Hz

Laufzeit: ca. 81 Min.

FSK: Keine Jugendfreigabe (ungeschnittene Fassung)

Verpackung: KeepCase

Extras: Trailershow

Release-Termin: KeepCase: 28.06.2019

 

Piercing [Blu-ray im KeepCase] ungeschnitten auf AMAZON bestellen

 
 


 
 
 

PIERCING – Trailer

 
 


 
 
 

Alexander Brunkhorst

(Rechte für Grafiken liegen bei BUSCH MEDIA GROUP)

 
 
 
Ähnche Filme:
 
Scherzo Diabolico (2015)
 
Cocktail für eine Leiche (1948)
 

Filmkritik: „Men – Was dich sucht, wird dich finden“ (2022)

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MEN – WAS DICH SUCHT, WIRD DICH FINDEN

(MEN)

Story

 
 
 
Nach einer persönlichen Tragödie zieht sich Harper allein in die wunderschöne englische Landschaft zurück, in der Hoffnung, einen Ort der Heilung zu finden. Aber jemand oder etwas aus den umliegenden Wäldern scheint sie zu verfolgen. Was als schwelende Angst beginnt, wird zu einem voll entwickelten Albtraum.
 
 
 


 
 
 

MEN – Kritik

 
 
 
Betrachtet man Alex Garland’s neuesten Film auf der oberflächlichsten Ebene, so handelt dieser von einer jungen Frau, die nach einem harten Schicksalsschlag die Flucht ins Landidyll sucht, nur um dort von zunehmend aufdringlicher und gruseliger werdenden Männern bedrängt zu werden. Zieht man den bewusst offensichtlich gewählten Titel sowie aktuellen Zeitgeist für eine marginale Kontextualisierung des Geschehens hinzu, gelangt man schnell zu dem Schluss, dass es sich hier wohl um einen Film über das Patriarchat, über Sexismus und Misogynie handeln muss. Und in der Tat: Übergriffige, sexistische, ihre Machtposition ausnutzende Männer bevölkern das dörfliche Ambiente und sorgen mit fortschreitender Laufzeit für mehr und mehr Momente sehr greifbaren Schreckens. Doch wer in den letzten Jahren aufmerksam Horrorfilme geguckt hat, der wird die Klischees, Tropen und niedergetrampelten Pfade allegorischer, sich am Puls der Zeit befindender, mit einer traumatischen Backstory aufgeladener Hochglanz-Horrorfilme der Veröffentlichungs- und Produktionsschmiede A24 und ihrer zahlreichen Fans inzwischen auswendig kennen und spätestens dann mutet es doch komisch an, dass der Drehbuchautor von „Ex Machina“ und „Annihilation“ hier derartige „Standardkost“ abgeliefert haben soll. Klar: Jessie Buckley liefert eine emotional fordernde und extrem abwechslungsreiche Performance, das Colourgrading des Films ist zum Niederknien malerisch geworden, der Soundtrack ist stimmig und technisch kann man von einer kleinen Offenbarung sprechen. Doch Trends gefolgt, vorhersehbare Filme abgeliefert oder Altbekanntes neu aufgewärmt hat Garland bisher noch nie; im Gegenteil, seine Filme glänzten gerade durch originelle Ansätze oder spannende Verquickungen unterschiedlicher Genreaspekte – ist es also wirklich „so einfach“?
 
 
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Meiner Meinung nach nicht. Denn was nach zwar reichlich vorhersehbaren, aber trotzdem kurzweiligen, da technisch sowie schauspielerisch brillanten, sowie gerissen mit bewusst merkwürdigen CGI-Effekte und obskuren Andeutungen implementierenden, ersten 60 Minuten langsam aber sicher offensichtlich wird; das ist die absolute Offensichtlichkeit des Plots selbst. Sobald eine gewisse Schlüsselszene nämlich abläuft, kann der geneigte Genrefan innerlich bereits abschalten, da jegliches Mysterium dahin und der Plot gelöst scheint – doch was dann im dritten Akt und krönendem Finale des Films folgt, spottet jeder Beschreibung.
 
 
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Beziehungsweise, nicht ganz: In einer technisch erneut herausragenden Verquickung von einmalig drastischen, praktischen Effekten und bewusst kaschiertem CGI bekommt der gemeine „Horrorfan“, der viel zitierte „Gorebauer“ nämlich mit voller Inbrunst derart übertrieben und lächerlich seinen Fleischklumpen zugeworfen, dass selbst unsere Protagonistin gelangweilt das Weite sucht. Und als wäre diese nebensächliche Geste noch nicht genug, kann Garland es sich nicht nehmen lassen, diese inzwischen überdeutlich ausbuchstabierte Karikatur einer A24-Horrormetapher auszubuchstabieren, den sprichwörtlichen Holzhammer lachend über dem Kopf des Zuschauers zu zerbrechen.
 
 
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Hat man in den letzten zehn Jahren keinen Horrorfilm geguckt, so kann „Men“ eventuell noch als solcher funktionieren, ist er doch deutlich kurzweiliger, spannender und auch dramatischer als „Lamb“, der seine Pointe deutlich ernster und lethargischer vorbereitet. Doch kennt man sich im Horrordschungel aus, ist die eigentliche Offenbarung und Überraschung viel mehr die, wie frech und witzig und over-the-top Alex Garland hier ein ganzes Genre vorführt, das man wohl als „Post A24 Arthousehorror“ zusammenfassen kann. Ich hatte auf jeden Fall meinen Spaß.

 
 


 
 
 

MEN – Fazit

 
 
 
8 Punkte Final
 
 
 
Herrlich, genau das hat die nicht enden wollende Welle langsamer, durchschaubar metaphorischer, charakterbasierter Arthouse-Horrorfilme gebraucht. Trotz ernster Themen und der mysteriösen Prämisse mehr Genreparodie denn ernstzunehmender Horrorfilm und trotz Schlusspointe nie langweilig bis dahin.
 
 
 


 
 
 

MEN – Zensur

 
 
 
Die deutsche Fassung von „Men – Was dich sucht, wird dich finden“ ist ungeschnitten und frei ab 16 Jahren.
 
 
 


 
 
 

MEN – Deutsche Blu-ray

 
 
 
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(c) PLAION PICTURES (Blu-ray im KeepCase)

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(c) PLAION PICTURES (Blu-ray + 4K-UHD im Mediabook)

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(c) PLAION PICTURES (Blu-ray + 4K-UHD im Steelbook)

 
 
 

TECHNISCHE DATEN


Originaltitel: Men; Großbritannien 2021

Genre: Horror, Drama, Science Fiction

Ton: Deutsch DTS-HD MA 5.1, Englisch DTS-HD MA 2.0

Untertitel: Deutsch

Bild: 1.85:1 | @23,976 Hz

Laufzeit: ca. 100 Min.

FSK: FSK16 (ungeschnittene Fassung)

Verpackung: KeepCase | Mediabook | Steelbook

Extras:Interview mit Alex Garland, Rebirth: The Making of Men, Teaser & Trailer | zusätzlich im Mediabook: Film auf 4K-UHD-Disc, Umfangreiches Booklet von Leonhard Elias Lemke

Release-Termin: KeepCase + Mediabook: 27.10.2022

 

Men – Was dich sucht, wird dich finden [Blu-ray im KeepCase] ungeschnitten auf AMAZON bestellen

Men – Was dich sucht, wird dich finden [Blu-ray + 4K-UHD im Mediabook] ungeschnitten auf AMAZON bestellen

Men – Was dich sucht, wird dich finden [Blu-ray + 4K-UHD im Steelbook] ungeschnitten auf AMAZON bestellen

 
 


 
 
 

MEN – Trailer

 
 


 
 
 

Alexander Brunkhorst

(Rechte für Grafiken liegen bei PLAION PICTURES)

 
 
 
Ähnche Filme:
 
The Invitation – Bis dass der Tod uns scheidet (2022)
 
Get Out (2017)
 
mother! (2017)